Fünf Jahre im Roten Ochsen

Konni Scheller

Es war kurz vor Jahresende 2002. Da betrat ich, nichts Böses ahnend, unser damaliges Spiellokal im Krottental. In der Kulturscheune im Zentrum der Forchheimer Altstadt wollte ich nämlich das Spielmaterial für die Kreismeisterschaften Anfang 2003 holen (ja, schon damals war ich das „Mädchen für Alles“). Als Austragungsort war das Gasthaus „Roter Ochs“ vorgesehen. Bei Betreten der Kulturscheune bot sich mir allerdings ein erschreckender Anblick:

Das alte Spiellokal

Im Inneren war kein Stein auf dem anderen geblieben. Sämtliches Mobiliar war ausgeräumt. Weder Tische noch Stühle für den nächsten Vereinsabend waren an Ort und Stelle. Die Schränke waren abgebaut und sogar die Lichtschalter abgeschraubt. Kurzum, der Hauptmieter Alpenverein hatte die Zelte abgebrochen und war in sein neues Domizil im Wiesentcenter an der Bayreuther Straße umgezogen. Allerdings hatte er seine Untermieter, wir waren da nicht die einzigen, von den kurzfristigen Veränderungen nicht informiert. Später erfuhr ich, dass der Schwimmsportverein neuer Hauptmieter des städtischen Gebäudes und die Untermiete deutlich erhöht werden sollte. Jedenfalls war ans Schachspielen auf dem Boden erst einmal nicht zu denken. Der Jahreswechsel stand also unter keinem guten Stern.

Der erste Kontakt

Auf den Roten Ochsen war ich eher aus Verlegenheit gekommen, als ich die Chronik zum 25-jährigen Vereinsjubiläum anfertigte. Da stieß ich auf das frühere Mitglied Konni Scheller, der jetzt als Küchenmeister Herr des Anwesens war. Ich interviewte ihn kurz, um die notwendigen Angaben und ein Foto für das Buch zu erhalten. Meine nebenbei gestellte spontane Frage, ob wir bei ihm nicht mal ein Turnier ausrichten könnten, beantwortete er, für mich völlig überraschend, mit einem begeisterten „Ja“. Die Besichtigung erbrachte einen geräumigen Saal, ein praktisches Nebenzimmer und eine gemütliche Gaststube. Und einen heimlichen Schachfan, der aus beruflichen Gründen seiner Leidenschaft aber jahrelang nicht recht hatte nachgehen können. Denn wer ständig am Wochenende und abends kochen muss/will, der hat so recht keine Zeit, einen Schachabend zu besuchen, geschweige denn, Turniere zu absolvieren. Damit war die KEM im Roten Ochsen angekommen. Übrigens hatte Konni damals extra für uns den Stärketrunk der CSU Forchheim abgesagt.

Eine große Leidenschaft

Beim Aufbau des Spielmaterials für die KEM kamen wir dann bei einem Radler (ja, auch damals schon) ins Gespräch. Dabei schilderte ich ihm die schwierigen Umstände des alten Spiellokals. Natürlich nicht ohne Hintergedanken, aber ohne große Hoffnung auf Abhilfe. Einige Tage später begann das Turnier, dem übrigens Dr. Manfred Habermann aus Herzogenaurach seinen Stempel aufzudrücken wusste. Beim Anblick der Schachbretter schienen Konni Erinnerungen an seine Jugendzeiten im Schachclub zu ergreifen. An verrauchte Abende im Buckenhofener Gasthaus „Zur Sonne“ und an die „alte Garde“ aus Rudolf Fischer, Kurt Schattulat oder Karl Lohnert. Man merkte, dass trotz fehlender Spielpraxis die Freude am Schach nur verschüttet, nicht aber verloren war. Umso erstaunter war ich, als Konni vorschlug, der Schachclub könne doch bei ihm einziehen. Wie ein Ertrinkender ergriffen wir den Strohhalm, den manche für ein Provisorium erachteten. Aber wie das bei Provisorien oftmals so ist – sie halten länger, als man denkt. Ein unspektakulärer Beginn, dem viele erfolgreiche Jahre für den Schachclub folgen sollten.

Immer ein offenes Ohr

Das schien die Lösung all unserer Raumprobleme zu sein. Schließlich mussten wir zuvor bei größeren Turnieren immer ausweichen, z. B. beim Annafestblitz ins BRK-Heim. Das bedeutete stets einen Riesenaufwand, viel mehr Organisation und nicht zuletzt erhebliche Mietkosten. Und manche Veranstaltungen waren in der kleinen Kulturscheune praktisch undurchführbar. Jetzt waren Kreis-, Bezirks-, ja sogar Bayerische und Deutsche Meisterschaften möglich. Und wir haben davon reichlich Gebrauch gemacht. Sei es die Internationale Deutsche Meisterschaft im Lösen von Schachproblemen, die Bezirks-Blitz-EM oder die Bayerische Schnellschach-Oberliga. Denn bei allen Anfragen, mit denen ich Konni konfrontiert habe, war ein „Ja, gerne“ zu vernehmen. Auch wenn es für ihn und seine bessere Hälfte Nailia Behrend, genannt Nelli, mit Arbeit und nervlichem Stress verbunden war. Unermüdlich hat er mir als Jugendleiter unter die Arme gegriffen, und dem Schachclub dadurch die Vergrößerung und qualitative Steigerung nicht nur im Nachwuchsbereich ermöglicht. Wir sind in dieser Zeit seit Anfang 2003 auf über 120 Mitglieder gewachsen, haben unsere Zahl an Mannschaften im Erwachsenen-, vor allem aber im Jugendbereich deutlich erhöht. Das wäre ohne Konnis Hilfe und Entgegenkommen nicht möglich gewesen.

Ungeahnte Möglichkeiten

Im Roten Ochsen waren in diesen fünf Jahren Dinge möglich, von denen jeder Vereinsvorstand träumt. „Kann die Schachjugend freitags nicht schon um 16 Uhr beginnen? Wir haben so viele Kinder, da möchte ich die Trainingszeiten ausdehnen.“ „Das können wir natürlich machen.“ „Ich möchte einmal monatlich am Sonntag einen Trainings-Stützpunkt einrichten. Können wir da den Saal haben?“ „Kein Problem.“ „Wir planen unsere Saisonabschlussfeier mit 70 Personen. Das geht privat nicht mehr.“ „Ihr könnt gerne auf meinem Gelände feiern. Dann feiere ich als Privatmann aber mit. Den Schachclub kostet es nichts.“ Der Aufschwung, den unser Verein, vor allem im Breiten- und Jugendbereich, genommen hat, wäre ohne Konnis offenes Ohr nicht denkbar. Legendär unsere beiden ersten Türmchenturniere, während derer Konni mit der Schöpfkelle für Tortellini-Verpflegung sorgte und sich auch vom Lärm der 60-80 Kinder nicht beeindrucken ließ. Ja sogar Jugend-Kreis(ch)-Meisterschaften fanden statt.

Schach open end

Ich denke, dass andere Vereine uns um unser Spiellokal beneiden. Wir haben einen Vereinswirt, der nicht nur sehr gute Küche anbietet, und dies auch zu Zeiten, an denen Schachspieler Zeit und Hunger haben (meistens etwas später am Abend). Da kann man Freitag abends jederzeit als Kiebitz vorbeikommen, etwas essen, etwas trinken, und sich mit anderen Schachfreunden gut unterhalten. Zur Not, falls alle schon ausgeflogen sind, nimmt sich auch Konni des Gastes schachlich an. Wir können auch froh sein, dass wir nicht unter dem Druck stehen, dass der Gastwirt um 23 Uhr jammernd durch den Turniersaal zieht und ankündigt, in zehn Minuten absperren zu wollen. Oder sich beklagt, es werde nicht genügend verzehrt. Das wird mir von Schachfreunden aus anderen Städten regelmäßig erzählt. Konni meint dazu übrigens, dass Schachspieler sehr wohl einigen Umsatz machen. „Die Klagen anderer Vereinswirte kann ich nicht nachvollziehen.“ Wir können unser Spielmaterial auch mal stehen lassen, oder es unter der Woche als Vorbereitung aufs Wochenende aufbauen. Eine Flexibilität, die Vereinsarbeit deutlich erleichtert und über manchen Frust hinweghilft, der einen als Ehrenamtlichen (auch vereinsintern) zu überwältigen droht.

Bierschach und die Technik

Unvergessen sind auch die langen Analyse-Abende und Blitzmarathons mit Konni, der sich beim Schach vom Kochen entspannt. Oder die Bier-Schach-Turniere, die sich, aus einer Weinlaune heraus geboren, zur festen Institution entwickelt haben. Das stärkt den Zusammenhalt im Schachclub auch jenseits der 64 Felder und bringt uns bis dahin unnahbare Schachfreunde näher. Nicht zu vergessen auch, dass diese Zeilen hier nur zu lesen sind, weil Konni auch als Webmaster dafür gesorgt hat, dass diese Homepage, die eine der aktuellsten und informativsten Schachseiten in ganz Deutschland ist, seit fast zwei Jahren online ist. Man stelle sich nur einmal vor, wo wir wären, gäbe es das alles nicht! Nicht auszudenken! Und dann erst all die Kleinigkeiten, die ich hier gar nicht alle aufzählen kann: Freigetränke für die Schachjugend, Übernahme der gesamten Kosten für die Homepage, Verzicht auf Saalmiete, technische Unterstützung bei Turnieren und Tagungen…

Der Kreis schließt sich

Es war keine Absicht, dass im Januar 2008, genau fünf Jahre nach der legendären ersten Kreismeisterschaft im Roten Ochsen, wieder dieser Wettbewerb an selbiger Stelle durchgeführt wird. Es ist aber eine Fügung des Schicksals und eine schöne Gelegenheit, den Kreis sich schließen zu lassen. An dieser Stelle möchte ich persönlich Konni danken, dass er sich im Hintergrund so um den Schachclub verdient gemacht hat. Ein Engagement, dass von vielen nicht wahrgenommen wird. Eine unschätzbare Unterstützung, die sogar mit Anfeindungen zu kämpfen hat (!). Aber so geht es vielen, die keine großen Reden schwingen, sondern das Notwendige tun. Sie brauchen viel Enthusiasmus und ein dickes Fell. Und meistens merkt man erst Jahre später, was man an solchen Menschen hatte. Danke, Konni.