Computerschach-WM in Peking (Abschlussbericht)

Blick auf Peking

Am anderen Ende der Welt kämpfen derzeit die Maschinen gegeneinander. Genauer gesagt die Computerschach-Programme. In Peking geht es um die 16. Weltmeisterschaft. Von uns mit dabei Johannes Zwanzger, der seinen „Jonny“ wesentlich verbessert und durch weitere Rechnerunterstützung titeltauglich gemacht hat. Vielleicht gelingt es ja, die hohen Favoriten Rybka oder Shredder zu düpieren. Johannes Zwanzger schreibt regelmäßig vom Geschehen. Hier schon mal sein Bericht und einige Fotos zum Abschluss des Turniers:
Turnierseite

Bericht zur Anreise und 1. Runde:

Hier wird gerechnet

„Meine Anreise nach Peking verlief nicht ganz ohne Aufregungen. Der erste Flug von Nürnberg nach Paris fing zunächst sehr entspannt an, ich las meinen Krimi und vertiefte mich bald in die Geschichte. Als aber auf dem Höhepunkt der Handlung (wo – Ironie des Schicksals – der Oberschurke einer Polizistin einen Teil des Ohrläppchens wegschießt) mein linkes Ohr Schmerzen anmeldete, war das leider keine Fiktion. Stellenweise hatte ich das Gefühl, es würde mir das Trommelfell zerreißen. Ein Blick auf meine relaxten Sitznachbarn offenbarte, dass ich wohl als Einziger dieses Problem hatte. Nicht sehr tröstlich, aber irgendwie war es trotzdem beruhigend zu wissen, dass mit dem Flugzeug an sich noch alles in Ordnung war. Ich hab dann mangels Alternativen tapfer die Zähne zusammen gebissen und mit zunehmender Erdnähe wurde es dann auch wieder besser. Fast schmerzfrei in Paris angekommen, traf ich mich am Gate nach Peking mit meinem Reisekollegen Timo Klaustermeyer, der in China als Operator von „Clustertoga“ dabei sein wird. Die Zeit nach Peking überbrückten wir zum Großteil mit der englischen Ausgabe von „Wer wird Millionär“, die man auf den Computerschirmen vor unseren Sitzen spielen konnte. Mit absolut kindischem Ehrgeiz haben wir dann stundenlang versucht, uns bis zur Million durchzukämpfen und sogar die Lösungen auswendig gelernt. Am Schluß konnte ich gelegentlich die Fragen zu den Antworten nennen („rot, grün, blau, gelb – das war doch die Snookerfrage?“). Geschafft haben wir es aber trotzdem nicht, 2x 500.000 war das höchste der Gefühle. Schon die ersten Fragen waren oft verdammt schwer, hintenraus wurde es meist sogar leichter. So ist die Million auf jeden Fall absolutes Pflichtprogramm für den Rückflug!

Auch Deutschland ist vertreten

Nach der Ankunft wollten wir eigentlich ein Taxi suchen, aber eigentlich war es schwieriger, kein Taxi zu bekommen. Ziemlich überrumpelt haben wir uns zweimal von irgendwelchen Typen in eine Tiefgarage abschleppen lassen, bei einem davon hatten wir sogar schon unser Gepäck im Auto, bis der Kollege mit dem Preis rausrückte (der war etwa viermal so hoch, wie er eigentlich sein sollte). Ich weiß zwar nicht, womit wir es verdient haben, aber er hat nach der dankenden Ablehnung unsererseits sogar das Gepäck wieder aus dem Kofferraum geholt, *bevor* er weggefahren ist… Nach diesem Erlebnis hab ich dann drauf bestanden, dass wir eines der offiziellen Taxis nehmen, die mit einem Grundpreis von 2 Yuan (ca. 20 Cent) pro Kilometer auch nicht besonders teuer sind. Wir haben es inkl. Mehrpersonenzuschlag dann trotzdem auf fast 250 Yuan gebracht, weil Peking erstens saugroß ist und der Taxifahrer sich auch noch mehrmals verfahren hat. Als wir irgendwann komplett in der Prärie gelandet waren, hat er nur noch rumgeflucht und uns mit hektischen Gesten wohl bedeuten wollen, dass es dieses Hotel da bestimmt nicht geben kann – ein Verdacht, der auch uns schon seit geraumer Zeit beschlichen hatte. Aber mit zigfachem Rumgefrage hat er es dann doch noch aufgetan… mitten in der Pampa! Außer dem Hotel ist hier weit und breit kein einziger Laden, dafür gibt´s ne Menge Landwirtschaft. Die Anlage an sich hat durchaus ihre Reize, ist aber wie so vieles hier von starken Kontrasten geprägt: Einerseits ragt ein Gebäude gleich einem hübschen Märchenschloß gen Himmel, andererseits stinkt der künstlich angelegte und höchstens zu 20% gefüllte See zum selbigen (selbst die Fische scheinen hier zum Luftholen hochkommen zu müssen, jedenfalls kleben sie förmlich an der Oberfläche der grün-braunen Algenpampe).

Der „See“

Die Wohngebäude sind frisch gestrichen, aber der Balkonboden ist voller Farbkleckse und das Geländer rostet. Die Zimmer sind groß und stilvoll eingerichtet, aber im Treppenhaus zerspringen die Fließen und der Teppich ist total verdreckt. Nicht, dass mich das alles besonders stört, aber es passt irgendwie nicht zusammen. Nach der Ankunft wollten wir eigentlich erstmal unser Jetlag überwinden, aber bereits eine Stunde später reißt mich das Telefon aus meinen Träumen. Am Apparat ist Omid David Tabibi, ein Teilnehmer aus Israel („Falcon“), der mich zum Ausflug in die Stadt überredet. Zusammen mit Timo, Gian-Carlo Pascutto („Deep Sjeng“) und seiner Freundin Elke machen wir uns (natürlich per Taxi) auf in die Silk Street, wo eine große Shopping-Mall darauf wartet, von uns unsicher gemacht zu werden. Vors Einkaufen haben die Götter aber noch das Geldwechseln gesetzt und das dauert hier so lange, dass wir Gian-Carlo und Elke, die vor der Bank wohl nicht lange genun gewartet haben, verlieren. Zu dritt wagen wir uns dann in die Mall, wo Timo und ich erstmal einer Verhandlungslehrstunde von Omid beiwohnen dürfen: Ein hübsches Schachbrett aus Holz wird ihm von einer Verkäuferin zum Schnächenpreis von 1800 Yuan angeboten. Omid hält knallhart mit 120 dagegen. Wer nun erwartet, dass man sich irgendwo in der Mitte trifft, sieht sich getäuscht: Das Brett wechselt schließlich für 125 Yuan den Besitzer! Omids einfache Faustregel: „Überleg Dir den Preis, den Du bei Dir daheim zahlen würdest, teile in durch 10, das ist das, was Du erwarten kannst“.

Algen überall

Wenn die Verkäufer nicht gleich einwilligen, hilft übrigens oft auch einfaches Weglaufen, wonach sie einem mit den Worten „Give me the money!“ hinterher rennen und die Ware doch noch zum Wunschpreis überlassen. Omid und Timo kaufen mit diesem Konzept tütenweise Sachen ein (ersterer muss sich am Ende sogar noch extra eine Tasche besorgen), ich bin mit einer Maus und einem neuen Geldbeutel etwas bescheidener. Kurz vor Mitternacht kann ich mich dann, wie durch ein Wunder wohlbehalten im Hotel zurück (der Verkehr in Peking verläuft mitunter ziemlich lebensmüde), endlich für ein paar Stunden dem Schlaf hingeben… Überraschend ausgeschlafen wohne ich anschließend dem ersten Programmpunkt des neuen Tages bei, dem sogenannten „Players Meeting“, wo u.a. noch einmal die Regeln und der Modus für die WM geklärt werden. Wir erfahren, dass die Teilnehmerzahl von 12 auf 10 gesunken ist, weil sich Vincent Diepeveen („Diep“) überraschend zurückgezogen hat (obwohl er schon in Peking angekommen war!) und ein weiteres Programm aufgrund von Stabilitätsproblemen nicht zugelassen wurde. Dann beginnt die größte Eröffungsfeier, die ich bisher bei einer Computerschach-WM erlebt habe: Unter dem Applaus von ca. 100 chinesischen Zuschauern werden etliche Reden abgehalten, u.a. auch von Feng-hsiung Hsu, dem Vater von „Deep Blue“. Mir kann zwar keiner erzählen, dass die vielen Damen in durchaus reiferen Alter irgendein Interesse an Computerschach haben, aber wichtig kommt man sich trotzdem irgendwie vor.

Blick aus dem Hotelzimmer

Erwähnte ich schon, dass China ein Land der Kontraste ist? Dem pompösen Auftakt folgt nämlich eine mittlere Katastrophe in Form eines nicht funktionierenden lokalen Netzwerks. Dagegen läuft die Verbindung nach Europa zwar langsam, aber stabil! Bei acht von zehn Teilnehmern, die auf eine Remoteverbindung angewiesen sind, ist das natürlich absolut inakzeptabel. Gut, dass wir uns aufgrund der reduzierten Teilnehmerzahl den Luxus erlauben können, die zweite Runde des Tages zu streichen, um dann wenigstens die erste mit etwa 4-5 (!) Stunden Verspätung beginnen zu können. Die Verbindung hängt zwar trotzdem alle 30 Minuten, aber irgendwie muss es ja mal losgehen. Jonny ist mit Weiß gegen Deep Sjeng gepaart und macht seine Sache hervorragend. Gut aus dem Buch gekommen inszeniert er bei entgegengesetzten Rochaden einen Königsflügelangriff, dem Sjeng mit einem originellen Damenopfer zu entgehen versucht. Kurz danach ist die „maximal mögliche“ Materialassymetrie erreicht, Weiß hat Dame und Springer für einen Turm und das Läuferpaar des Schwarzen. Nachdem die Stellung kurzzeitig mal nach einem statischen Remis aussah, findet Jonny eine hübsche taktische Wendung, nach der er einen starken Freibauern auf der d-Linie erhält. Kurz vor dessen Touchdown gibt Gian-Carlo dann die inzwischen hoffnungslose Stellung auf. Ein hervorragender Auftakt, denn „Sjeng“ ist ein wirklich starkes Programm und hat insbesondere im letzten Jahr erheblich an Spielstärke zugelegt. Hoffentlich geht es so weiter! Jonny spielt hier übrigens zum ersten Mal in seinem Leben auf einem Cluster, d.h. einem ganzen Netzwerk von Computern, dass in meinem Fall aus vier Rechnern mit jeweils vier Rechenkernen besteht, die in einem Raum der Uni Bayreuth brav ihren Dienst verrichten.Insgesamt sind also 16 CPUs beteiligt, worauf Jonny im Mittel etwa 40-50 Millionen Stellungen pro Sekunde berechnet.“

Bericht zur 2.-4. Runde:

Stellung gegen Hiarcs

„Angesichts der grauenvollen Netzwerkstabilität in der ersten Runde haben wir noch am selben Tag beschlossen, ab sofort direkt im Hotel zu spielen, wo die Internetverbindung viel besser ist. Zum Test hatte Harvey Willamson (der Operator von „Hiarcs“) am Abend einen Router eingerichtet, zu dem sich die anderen Rechner per WLAN verbinden können. Das Ding reicht erstaunlich weit und so konnte ich nachts um zwei Uhr auf dem Balkon meines Hotelzimmers sitzen und mich per Notebook mit meinem Rechner in Bayreuth verbinden – das hatte schon irgendwie was, auch wenn es saukalt war. Jonny indes scheint der Wechsel gar nicht bekommen zu sein, er hat nun drei Runden hintereinander verloren, nämlich gegen „Hiarcs“, „Junior“ und „Rybka“. Während die Partie gegen Junior durchaus ansprechend und sehr spannend war (als Junior am Ende mattsetzte, hatten beide nur noch 1-2 Minuten auf der Uhr), gab es gegen Hiarcs und Rybka ein Desaster. Beide Male spielte Jonny als Schwarzer im Spanier h6 und musste jeweils bereits nach wenigen Zügen eine Ruine verwalten, weil es genau da eingeschlagen hat.

Ein Märchenschloss

Zu allem Überfluß offenbarte sich noch ein Bug, der in der Partie gegen Hiarcs zur Rekordbedenkzeit von 64 Minuten für einen einzigen Zug und gegen Rybka sogar zur Zeitüberschreitung geführt hat. Zum Glück hatte ich nach der Partie gegen Hiarcs entsprechende Debugausgaben eingebaut und konnte den Fehler damit heute Nachmittag beheben. So gesehen hatten die Partien doch noch was Positives, verloren waren die Stellungen ja sowieso! Am morgigen Mittwoch kann es auf jeden Fall kein drittes Spanischdesaster geben, denn da hat Jonny gegen „Shredder“ Weiß. Aber schwer wird es natürlich trotzdem, wenngleich es beim Rekordweltmeister mit 1,5/4 derzeit auch nicht läuft.

Kicker für Linkshänder

Unabhängig davon ist die Stimmung hier bei allen sehr gut, das Essen ist lecker und das Personal sehr freundlich und geduldig, wenn sich die Konversation mal als etwas schwieriger gestaltet (ich habe zum Beispiel knapp 30 Minuten gebraucht, um mir an der Rezeption ein Netzwerkkabel auszuleihen). Heute Nachmittag war keine Runde, das habe ich genutzt, um etwas Schlaf nachzuholen. Am frühen Abend haben dann Timo und ich die Bowlingbahn des Hotels getestet und eine Runde Kicker gespielt – mit einem Kicker für Linkshänder! Das fühlte sich ziemlich komisch an, war aber trotzdem sehr unterhaltsam. Anschließend haben wir noch im hoteleigenen „Pub“ einige Runden „Bang“ (ein lustiges italienisches Kartenspiel) gezockt und jetzt sitze ich hier um ein Uhr nachts vor meinem Notebook und schreibe diesen Bericht. Da ich trotz des Nickerchens am Nachmittag immer noch ziemlich müde bin, soll es das für heute gewesen sein.“

Bericht zur 5. Runde:

Heirat auf der Großen Mauer

„Jonnys gestrige Partie gegen Shredder endete nach wechselhaftem Verlauf in einem leistungsgerechten Unentschieden durch Dauerschach. In der Eröffnung sind beide schon nach 7. e4 aus dem Buch und bereits 9. Dd3!? scheint eine Neuerung zu sein. Nach Shredders Antwort 9. … d5 wird die Lage sehr unübersichtlich, aber nach einem kurzen Handgemenge steht ein Endspiel auf dem Brett. Obwohl beide Engines aufgrund des weißen Freibauern auf d6 dieses als etwas besser für Weiß einschätzen, erscheint mir das zu optimistisch, denn er ist durch die schwarzen Leichtfiguren zuverlässig blockiert und droht auf lange Sicht zur Schwäche zu werden. Der weitere Partieverlauf bestätigt diese Einschätzung, Jonny rennt sich fest und Shredder mobilisiert langsam seine Bauernmehrheit am Königsflügel. Für mich sah dieser Aufmarsch brandgefährlich aus, aber die Computer geben Schwarz immer nur minimalen Vorteil. Als Shredder sich anschickt, mit h5-h4 endlich einen Freibauern zu bilden, findet Jonny mit dem Figurenopfer 51. Sxb6! einen einfachen und überzeugenden Weg, das Remis unter Dach und Fach zu bringen.

Es geht abwärts

Schwarz muss danach Dauerschach geben, weil er die weißen Freibauern sonst nicht mehr unter Kontrolle bekommt. Im Anschluss an diese Runde haben wir die Blitzweltmeisterschaft gespielt, hier gewann überraschend „Deep Sjeng“ von Gian-Carlo Pascutto aus Belgien. Das zeigt umso mehr, wie wertvoll Jonnys Erstrundensieg gegen diesen Gegner im Hauptturnier war. Im Blitz dagegen gelingt ihm leider fast gar nichts, die träge Internetverbindung bringt mich immer wieder in Zeitprobleme und auch den Clusterbetrieb, der bei dieser Zeitkontrolle sehr ineffektiv läuft, stelle ich nach der ersten Runde ein; am Ende wird Jonny mit 2.5/9 nur Vorletzter.

Johannes auf der Mauer

Heute war ein spielfreier Tag, den wir für eine Exkursion zur chinesischen Mauer genutzt haben. Im Bus gabs erstmal einen Chinesischkurs für Anfänger, wo uns anhand einiger Beispiele erklärt wurde, wie sich bestimmte Zeichen entwickelt haben und was sie bedeuten. Zumindest hab ich jetzt eine grobe Idee, wie man in diesem Wust aus Strichen, Kringeln und Haken überhaupt irgendetwas lesen kann und habe im weiteren Verlauf der Fahrt sogar ein paar Symbole wiedererkannt (mein „Wortschatz“ umfasst derzeit „Hauptstadt“, „Eingang“, „König“ und „Gefangener“). Die Besteigung der chinesischen Mauer an sich war sehr anstrengend, vor allem wechselte die Stufenhöhe immer vollkommen willkürlich zwischen 10 und 40 Zentimetern.

Kunming-See im Nebel?

Am Ende haben Timo und ich uns dann aber doch bis zum (lokalen) Ende des Abschnitts vorgekämpft und die Aussicht von oben genossen. Schade nur, dass diese stark durch einen milchigen Schleier getrübt wurde, der über der gesamten Landschaft hing. Ich bin mir bis jetzt noch nicht sicher, ob es sich hierbei um Nebel oder um den vielzitierten Pekinger Smog handelte. Am Abend haben wir dann noch den „Sommer Palace“ besucht, wobei der Name etwas irreführend ist, denn inzwischen ist die Anlage mehr eine Art Erholungspark denn ein Palast. Eine der großen Attraktionen ist der „Kunming Lake“, ein (so wie ich es verstanden habe) künstlich ausgehobener See von etwa 2 Quadratkilometern Umfang, auf dem man viele Boote umherfahren sieht. Angesichts der unglaublichen Menschenmassen hält sich der Genuss aber in Grenzen, ich war die ganze Zeit gut damit beschäftigt, die Gruppe nicht aus den Augen zu verlieren – die Vorstellung, sich von hier irgendwie alleine zum Hotel durchkämpfen zu müssen, ist für mich der blanke Horror. Bei der „Volkszählung“ hinterher fehlt dann auch tatsächlich jemand, den wir nach einer halben Stunde Warten seinem Schicksal überlassen. Bei der Ankunft im Hotel stellt sich dann zum Glück heraus, dass er es per Taxi auch alleine geschafft hat, so dass am Ende des Tages wieder alle wohlbehalten zurück sind.“

Hier der Abschlussbericht:

Mobile Chess gegen Jonny

So, nun ist es also (fast) vorbei, mein China-Abenteuer. Vorgestern und haben wir die letzten vier Runden der Computer-WM gespielt, wobei Jonny mit 2.5/4 ungefähr meine Erwartungen erfüllt hat. Der Auftakt am Freitagmorgen gegen Clustertoga ging allerdings erstmal daneben: Obwohl wie geplant eine äußerst remisträchtige Russischvariante aufs Brett kommt, „gelingt“ es Jonny, das bald entstehende Turmendspiel mit 30. … f6?? noch zu vergurken. Auch 46. … Kg8?! ist unlogisch, denn Schwarz wird ohnehin irgendwann seinen Turm für den d-Bauern opfern müssen und sollte seine Tempi deshalb besser gleich mit 46. … Txg4 ins Abräumen der weißen Bauern investieren. Objektiv ist die Stellung aber vielleicht auch dann verloren. Dafür rehablitiert sich Jonny in der Nachmittagsrunde mit einem schönen Weißsieg gegen „The Baron“ von Richard Pijl. In einer Variante des angenommen Damengambits entscheidet er sich mit 12. g4!? dafür, auf kosten einer geschwächten Königsstellung dass schwarze Läuferpaar zu halbieren. In der Folge erlangt er die Kontrolle über das Zentrum, was den schwarzen Springern ein recht karges Dasein beschert. Als nach 22. d5! die Stellung aufgeht, bin ich mir dann sehr sicher, dass Jonny diese Partie gewinnen wird und behalte damit auch Recht. Die Partie am nächsten Morgen gegen „Falcon“ von Omid David Tabibi fängt auch recht gut an, in einer Grünfeld-Variante gibt das israelische Programm sehr schnell seinen schwarzfeldrigen Fianchetto-Läufer, um einen Bauern zu gewinnen.

Rybka-Operator bei Siegerehrung

Die verknoteten schwarzen Figuren am Damenflügel geben Weiß aber aus meiner Sicht mehr als Kompensation, was Jonny aber leider nicht nachweisen kann. Im Gegenteil, nach ein paar komischen Zügen ist eher Schwarz am Drücker, ehe sich die Waagschale wieder zugunsten von Weiß neigt, als Schwarz relativ unnötig eine Fesselung seines Springers auf der c-Linie erlaubt. Die lässt sich aber nicht entscheidend ausnutzen und so kann Jonny nur einen „symbolischen“ Vorteil in Form einer zerrütteten schwarzen Bauernstruktur am Königsflügel erreichen. Als nach 114 Zügen die Stellung endgültig blockiert ist, gegen wir die Partie remis. In der letzten Runde gegen das einzige chinesische Programm „Mobile Chess“, das auf einem Handy spielt, muss ich dann nochmal kräftig schwitzen. Natürlich war hier ein Sieg von vornherein eingeplant, aber ich hatte vergessen, vor der Partie das für ClusterToga eingestellte Russisch aus dem Buch zu nehmen. Und so kommt eine für Schwarz schwer gewinnbare Position aufs Brett, die Jonny fast mit einem halben Bauern gegen sich bewertet. Zwar steigt der Score langsam, aber beim kritischen Nulldurchgang wollte Jonny dann zweimal fast eine Stellungswiederholung erzwingen. Ich hätte dem chinesischen Programmierer den halben Ehrenzähler zwar durchaus gegönnt, mich aber andererseits doch ziemlich über meinen Fauxpas geärgert.

Besuch in der Jademanufaktur

Zum Glück zeigt sich das Telefon dann aber doch kooperativ und rennt vom 33. Zug an mit seinem König ins Verderben. Somit hat Jonny am Ende 4/9 und landet damit auf dem geteilten 6./7. Platz. Obwohl das von der Platzierung her in Ordnung ist, hätte ich mir doch mindestens einen halben Punkt mehr gewünscht, in den Partien gegen Junior und Clustertoga war das durchaus drin. Gewonnen hat das Turnier wie erwartet und mit 8/9 absolut souverän „Rybka“ von Vasik Rajlich. Herzlichen Glückwunsch an ihn und sein gesamtes Team!

Heute war noch mal ein freier Tag, den wir für einen erneuten Ausflug in die Pekinger Innenstadt genutzt haben. Leider braucht das Taxi einen sehr langen „little moment“ (nämlich über eine Stunde), bis es uns am Hotel abholt. Das darf morgen bei der Fahrt zum Flughafen nicht passieren! Knapp zwei weitere Stunden später sind wir dann im Zentrum von Peking. Allein daran kann man wohl ermessen, wie groß und weit hier alles ist. Die Fahrt kostet trotzdem nur etwa 15 Euro, zieht man da Sprit und sonstige Kosten ab, bleibt für den Fahrer nicht mehr viel übrig.

Mobile Chess

In der Stadt lassen wir uns erstmal eine Pizza schmecken, das war nach 10 Tagen (durchaus wohlschmeckendem!) Chinafood auch mal wieder nötig. Danach schlendern wir durch die verschiedenen Kaufhäuser, wo die Preise im Gegensatz zur Silk-Street durchaus westliches Niveau aufweisen – dementsprechend gering ist unsere Ausbeute. Deshalb investieren wir nochmal 20 Cent für eine Fahrt in der völlig überfüllten Pekinger U-Bahn, die uns nochmal zum vielleicht größten überdachten Basar der Welt bringt. Dort erwerben wir ein paar günstige Souvenirs und nehmen dann anschließend ein Taxi zurück zum Hotel. Daran, dass die Fahrer den Weg nicht sofort finden, haben wir uns inzwischen schon gewöhnt. Das ist auch der Grund, warum die Fahrt mit rund 19 Euro diesmal etwas „teurer“ ausfällt. Jetzt bin ich einfach nur noch hundemüde und freue mich wieder auf daheim, auch wenn es (abgesehen von den Pannen beim Start) ein wirklich schönes Turnier war. Hoffentlich klappt morgen bei der Heimreise alles, dann bin ich in etwa 26 Stunden wieder in „good old Germany“.