Jonny wird Blitzweltmeister in Tilburg

Das Mekka das Computerschachs war dieses Jahr das holländische Tilburg, wo die 19. Computerschach Weltmeisterschaft ausgetragen wurde. Unser Mitglied und langjähriger Bundesligaspieler Johannes Zwanzger war erneut dabei. Mit seinem Programm „Jonny“ erreichte er in einem doppelrundigen Turnier bei 9 Teilnehmern den geteilten 4./5. Platz in einem Feld von Teilnehmern mit wundersamen Namen: Hiarcs, Shredder, Jonny, The Baron, Booot, Rookie3.4, Junior, Woodpusher199 und Pandix. Johannes gehört in diesem Kreis bereits zu den Veteranen dieses Denk-Sports bei dem die Teilnehmer die hohe Kunst der Schach-Programmierung perfektionieren und ihre „geistigen Kinder“ gegeneinander antreten lassen.

Wir gratulieren Johannes zum Gewinn der Computer Blitzweltmeisterschaft!

Jetzt mit ausführlichen Bericht, Analysen, Bildern und Partien.

Weg zum Spielsaal

1. Tag:
Heute ging es mal wieder los mit der Computerschach-WM, die heuer im holländischen Tilburg stattfindet.

Aufgrund der Disqualifikation von Dauersieger Rybka durch die ICGA (zu Details verweise ich auf die entsprechende Meldung in diversen Newstickern vor wenigen Monaten) gibt es dieses Jahr keinen klaren Turnierfavoriten. Da Jonny sich in den letzten Monaten ordentlich verbessert hat (er dürfte etwa 150 Elo stärker sein als in Kanazawa), sehe ich gute Chancen, hier mal richtig was zu „reißen“. Vor allem im offenen (= nicht hardwarebeschränkten) Turnier, denn da hat Jonny mit 800 Kernen vom Cluster der Uni Bayreuth klar die beste Hardware. Selbiges gilt für die Blitz-WM. Aber auch im „Softwareturnier“ (hier nutzen alle Programme die gleiche Hardware) kann jeder jeden schlagen und die Sache ist somit völlig offen.

Ich würde jetzt natürlich gerne von irgendwelchen schachlichen Glanztaten Jonnys zum Auftakt berichten, aber das geben die ersten beiden Partien wirklich nicht her. Ein bißchen was gibt es aber trotzdem zu erzählen.

In Tilburg haben leider weder die Stadt noch der Spielsaal
viel fürs Auge zu bieten, wie diese kleinen
Impressionen verdeutlichen sollen. Außerdem ist es nass und kalt.
Beste Vorraussetzungen also, um sich voll aufs Computerschach
zu konzentrieren.

Die Auslosung will es, dass Jonny gleich in Runde 1 auf einen der Favoriten trifft, nämlich Hiarcs von Mark Uniacke. Eigentlich hatte ich gehofft, dass er den Anzugsvorteil nutzen kann, um einen vollen Punkt in Angriff zu nehmen, aber bereits in der Eröffnung gleicht Hiarcs mühelos aus. Die folgenden weißen „Aktionen“ in den Zügen 17-20 hinterlassen ebenfalls einen recht planlosen Eindruck und schon ist Schwarz am Drücker. Als Jonny dann mit 23. Sd4 freiwillig einen Bauern hergibt, verstehe ich die Welt gar nicht mehr. Sicher, Weiß hat gewisse Kompensation und die Remisbreite ist höchstwahrscheinlich noch nicht überschritten, aber war das wirklich nötig? Und vor allem: Warum bewertet Jonny die Stellung fast ausgeglichen (nur -0.1 Bauerneinheiten)? Auf jeden Fall revidiert er diese Einschätzung in den Folgezügen erstmal (-> -0.5 BE), bis dann bei 30. h4 wieder die „Trendwende“ einsetzt. Bei 34. Sf3 zeigt Jonny bereits ein Remis an, und diesmal ist diese Einschätzung völlig richtig. Hiarcs braucht noch ein paar Züge, sieht es dann aber auch ein. Da ich auf schwarzer Seite keine großen Versäumnisse erkennen kann, wäre das Fazit also, dass 23. Sd4 wohl gar nicht so blöd war.

Spielsaal

In der zweiten Partie mit Schwarz gegen „Woodpusher“ von John Hamlen sorge ich unfreiwillig für einen Lacher, der mir die Laune aber gründlich hätte vermiesen können. Da ich gegen das seit 1997 nicht mehr weiterentwickelte Programm von einem klaren Sieg ausgehe und nicht gleich Jonnys Schwarzrepertoire offenlegen will, wechsle ich auf das Eröffnungsbuch vom letzten Jahr. Was ich allerdings vergesse: Damals gab es zwei Bücher – eines für die Partien mit den weißen und eines für die mit den schwarzen Klötzen. Und ich greife natürlich zum falschen. Wenn man nun mit einem Weißbuch in eine Schwarzpartie geht, kann so ziemlich alles passieren – die darin gespeicherten schwarzen Züge sind dann ja nur die potentiellen Sachen, die ein Gegner spielen könnte und daher nicht unbedingt gut… und so kommt es nach 1. Sf3 zum Kracher 1…. g5????
Nur dank kräftiger Mithilfe von Woodpusher währt der Schock nicht lange. Nach 6. Sc3 bin ich schon wieder guter Dinge, dass die Partie mehr in taktische Fahrwasser mündet als einfach nur in ein Endspiel mit Minusbauer. Und richtig, schon bei 8. … Ld7 ist Jonny wieder mit seiner Stellung versöhnt. Einfach, aber hübsch ist natürlich 9. … d4! gefolgt von 10. … b5 (wie oft erlebt man es, dann nach 10 Zügen sowohl der b- als auch der g-Bauern fehlen und das auch noch gut ist?). Danach ist die Partie dann praktisch auch schon vorbei.

2. Tag:
Die 3. Runde gegen „Pandix“ von Gyula Horváth war leider sehr ernüchternd. Bereits mit dem ersten Zug nach dem Eröffnungsbuch trifft Jonny mit der langen Rochade eine schwerwiegende Entscheidung, die vermutlich nicht so gut war. Wenn doch, dann muss er die Idee g4-h4-g5 in den nächsten Zügen jedenfalls energischer angehen (z.B. mit 12. Tdg1). In der Partie passiert am Königsflügel dagegen erstmal nichts, während Schwarz am Damenflügel seine Bauernwalze langsam aber sicher nach vorne schiebt. Als Weiß dann doch noch etwas tut, ist es schon zu spät, das Springeropfer auf h6 war eine pure Verzweiflungstat. In dieser Partie ist Jonny leider einfach glatt überspielt worden.

Schwarz am Zug hat Dauerschach!

In der Nachmittagsrunde gegen „Junior“ von Amir Ban steht die Winawer-Variante im Franzosen zur Diskussion, bei der Jonny die schwarze Sache vertreten muss. „Muss“ deshalb, weil ich mit der Buchvariante schon wieder nicht zufrieden bin, besonders mit dem letzten Buchzug 19. … Da5. Bis dahin hatte Junior schon eine Weile selbst gerechnet und sah die Sache als völlig unklar an, nach Da5 ging der Score für Weiß aber deutlich rauf auf fast eine Bauerneinheit. Die Rechner sehen halt den weißen h-Bauern als wahnsinnig stark an (eine Einschätzung, die ich vor Kenntnis des Partieverlaufs auch uneingeschränkt geteilt hätte), aber der kommt halt erstmal nur bis h7. Trotzdem kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass Schwarz in der Stellung eigentlich nur ums Überleben kämpft, was am plausibelsten durch ein Dauerschach zu realisieren ist. So kommt es dann auch in der Partie, aber anhand der Tatsache, dass Weiß zu dem Zeitpunkt schon zwei Damen auf dem Brett hat, kann man vielleicht abschätzen, auf welch schmalem Grat Schwarz gewandelt ist.

3. Tag:
In Runde Nummer 5 hat Jonny Schwarz gegen „The Baron“ von Richard Pijl. Da ich ziemlichen Respekt vor dessen tief vorbereitetem Eröffnungsbuch habe, entscheide ich, die Winawer-Variante nicht zu wiederholen und stattdessen was solides zu spielen. Das gelingt auch, ist halt nur eine Spur zu solide. Jonny steht die ganze Partie über leicht schlechter, ohne wirkliche Chancen, an dieser Tatsache was zu ändern. Als die Partie ins Damenendspiel übergeht, schlucke ich erst ein bißchen, denn das sieht für mich sehr gefährlich aus. Aber mit ein paar genauen Zügen (31. … e5, 32. … e4), die in den kritischen Varianten offensichtlich grade so zum Dauerschach reichen, kann mein geistiges Kind das Remis sichern. Im Verteidigen schlechterer Stellungen hat Jonny sich bisher ziemlich gut angestellt, schade nur, dass es überhaupt so weit kommt.

Im Anschluss muss er mit Weiß gegen „Rookie“ von Marcel van Kervinck ran und kann dank einer vernünftigen Eröffnung endlich mal zeigen, was in ihm steckt. Rookies letzter Buchzug ist 11. … Sa5, worauf Jonny nach einigem Rechnen 12. Sg2! mit schon ziemlich guter Bewertung auspackt. Der Punkt ist, dass Schwarz nun zwar temporär mit 12. … Sb3 den weißen Turm auf a2 einsperren kann, aber der kommt nach Abtausch des Springers ohne größere Zugeständnisse wieder frei, während Schwarz seinerseits am Bauern auf d5 klebt. In den weiteren Zügen baut Jonny seinen Vorteil weiter aus, ist dann aber erstmal etwas planlos, wo er den finalen Durchbruch ansetzen soll. Hier zeigt sich dann Rookie mit 34. … f6 kooperativ, denn nach Abtausch des weißfeldrigen Läufers kommt Weiß leicht zu g4, wonach die schwarze Stellung zusammenbricht.

Booot – Jonny (Variante): Schwarz an Zug befindet sich im Zugzwang

4. Tag:
Gegen „Booot“ von Alex Moroze… äh Morozov gelingt Jonny eine sehr schöne Partie. In der Abtauschvariante des Damengambits entwickelt er mit 13. Sf4 einen interessanten Plan: Nach dem Abtausch des Springers und der Damen ist zwar die weiße Bauernstruktur geschwächt, dafür bekommt Weiß Raumvorteil am Königsflügel und der schwarze Läufer kann nicht aktiv werden. Insgesamt glaube ich zwar nicht, dass das zum Gewinnen ausreicht, aber ganz passiv darf Schwarz sich nicht verhalten. Das macht Booot nämlich und wird langsam weiter eingeengt, bis Jonny – für mich überraschend – auch noch die Türme tauscht. Folgt man seiner Bewertung, scheint das entstehende Endspiel trotz des reduzierten Materials glatt verloren für Schwarz zu sein. Nach 44. … Ke7 ist es jedenfalls definitiv vorbei, Jonny´s Score lag danach schon bei etwa 2.5 Bauerneinheiten. Ebenfalls schlecht für Schwarz ist die ebenso hübsche wie plausible Variante 44. … Ld7 45. Kb4 f6 46. Kc5 Sc8 47.h5 Kf7 48. Se6 Lxe6 49. fxe6+ Ke7 50. b4 (droht Lxa6) Sd6 51. Kb6 Kxe6 52. Kc7 Ke7 53. f4 Ke6 54. f5+ Ke7 55. Le2 mit Zugzwang. Meine Lieblingspartie von Jonny in Tilburg

5. Tag:
Zum Abschluss gibt es noch ein relativ unspektakuläres Schwarzremis gegen Shredder. Ähnlich wie vor einem Jahr in Kanazawa zeigt er fast die ganze Partie nur den Score 0.00 an (nach 11. h3 ist 36. … Sb1 mit -0.17 die einzige(!) Ausnahme) und das dürfte wohl auch ziemlich genau dem Geschehen auf dem Brett entsprechen. Um einen Eindruck zu geben, wie weit Computer heutzutage rechnen können: Bei 37. … Dxe5 hat Jonny das nach 52. Kxf1 entstehende Turmendspiel schon mit der Bewertung 0.00 in der Hauptvariante. Damit kommt er insgesamt auf 5.0/8, womit ich natürlich nicht zufrieden bin. Entscheidend war die Weißniederlage aus Runde 3 gegen Pandix, die das einzige Nichtremis unter den vordersten fünf Programmen darstellt.

Am Nachmittag zeigt sich Jonny dafür bei der Blitz-WM von seiner Schokoladenseite und holt ungeschlagen mit 8.5/10 und 1.5 Punkten Vorsprung auf den Zweitplatzierten Shredder den Sieg. Formal hat er damit seinen Titel zwar „nur“ verteidigt, gefühlt ist es für mich aber der erste „richtige“ (wie schon vorher geschrieben entspringt der 1. Platz aus dem letzten Jahr der nachträglichen Disqualifikation von Rybka). Jippie!!

Zusätzlich zum „offenen Turnier“ fand ein Turnier statt mit gleicher Hardware (Computer) für alle. Mit 3.0/8 (alle durch Remisen) ist Jonny leider nur geteilter Vierter geworden (zusammen mit Shredder), gewonnen hat Hiarcs vor Junior. Die Partien sind weiter unten im Artikel.

Ingo Althöfer in „Abendgarderobe“

Weitere Wettbewerbe: „EinStein würfelt nicht“

Neben den Schachturnieren finden hier auch noch Computerwettbewerbe in anderen Spielen statt. Eines davon ist „EinStein würfelt nicht“, dass vom Jenaer Mathematikprofessor Ingo Althöfer – hier in Abendgarderobe – erfunden wurde. Da ich vor rund 6 Jahren in einem Spaßprojekt während der Semesterferien auch ein spielfähiges Programm geschrieben hatte, habe ich mich kurzfristig (= wenige Stunden vor Beginn) entschlossen, ebenfalls teilzunehmen. Mit 2/5 schlägt sich das Ding auch gar nicht so schlecht. Das blaue Runde ist übrigens nicht die Siegestrophäe, sondern die „Trostkugel“ für das letztplatzierte Programm bei „EWN“.

Shredderprogrammierer Stefan Meyer-Kahlen und
Johannes Zwanzger beim finalen Mensch-Maschine-Test
von Johannes EinStein-Würfelt-nicht-Programmes.
Im Hintergrund der Autor von Junior, Amir Ban.
EinStein würfelt nicht: Trostkugel

Hier die Partien des offenen Turniers zum Nachspielen:
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Hier die Partien des Blitzturniers zum Nachspielen:
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Hier die Partien des „gleiche Hardware für alle“-Turniers zum Nachspielen:
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