Vom Ertasten der Schachfiguren

Karl Muth

Eine Partie Schach spielen – ohne das Brett vor sich zu sehen? Was für viele Vereinsspieler schwer vorstellbar ist, für den im Kindesalter erblindeten Karl Muth ist es Normalität. Dass Schach ein idealer Sport für Blinde und Sehbehinderte ist, beweist er mit jeder Partie aufs Neu. Nach über 30 Jahren hat Karl Muth wieder ein Schachbrett vor sich. Der pensionierte Angestellte des Landratsamtes Forchheim, der für den Telefon- und Informationsdienst im Hause zuständig gewesen war, ist aber kein gewöhnlicher Schachspieler. Der 62-jährige gebürtige Hockenheimer ist der erste blinde Schachspieler überhaupt, der an einem Turnier des SC Forchheim teilnimmt. In der D-Gruppe der Vereinsmeisterschaft hat er mit anderen um Punkte gekämpft und sich gut geschlagen.

Für seine Gegner bedeutet es eine große Umstellung, gegen einen Sehbehinderten antreten zu müssen. Denn es gibt einige Unterschiede bei den Spielregeln und im Spielablauf zu beachten. So hat der Blinde ein eigenes kleines Brett, an dem er die Position der eigenen und gegnerischen Figuren abtasten kann. Die schwarzen Felder sind etwas erhöht, außerdem tragen die schwarzen Steine kleine Markierungen, um sie von den weißen Figuren unterscheiden zu können. Karl Muth sagt seine Züge dem Kontrahenten an, der diese sicherheitshalber wiederholt und dann am großen Schachbrett ausführt. Der Sehbehinderte hat eine eigene Uhr, an der er die restliche Bedenkzeit ertasten kann. Die Aufzeichnung der Züge erfolgt in Blindenschrift oder auf einem Tonträger.
Gelernt hat Karl Muth das Schachspiel als zehnjähriges Kind in der Blindenschule Ilvesheim bei Mannheim. Seit 1964 ist er Mitglied beim 1961 gegründeten Blinden-Schachklub Heidelberg und hat für diesen in den 60-er Jahren an vielen Mannschaftskämpfen gegen nicht nur blinde Schachspieler teilgenommen. 1970 war Karl Muth sogar in der Auswahlmannschaft der Blinden-Schachvereine Stuttgart, Heidelberg und Frankfurt, die in Mainz einen doppelrundigen Vergleichskampf gegen die Schweiz durchführten. Damals erreichte er ein 1:1. Seit 1971 hatte sich Karl Muth vom Schachspiel zurückgezogen und startete erst wieder im Herbst 2004 voll durch.

Bei der Blinden-Schachgemeinschaft Nürnberg ist er häufiger Gast und Mitspieler am Winterturnier. Nach so langer Zeit ist es für Karl Muth natürlich eine große Anstrengung, die Übersicht über die Stellung zu behalten und die notwendige Routine wieder zu erlangen. Und so bereitet sich Karl Muth die Woche über durch Partieanalysen und Eröffnungstraining vor. Mit Hilfe einer Braillezeile, die den Bildschirmtext in Blindenschrift umwandelt, und eines Sprachprogrammes nutzt er den Computer und misst seine Kräfte mit Shredder. Seine Frau Hilde unterstützt ihn dabei und beim Besuch der Spielabende nach Kräften. Seine Einsatzbereitschaft und sein Kampfeswille sind für seine Mannschaftskollegen der 6. Mannschaft vorbildlich. Auch wenn es mit den Punkten nicht immer so klappt, merkt man Karl Muth den Spaß am Schach stets an. Und so mancher Gegner musste schon einsehen, dass Karl Muth eine scharfe Klinge zu schlagen weiß.